Eine Yoga-Erfolgsgeschichte

Ich lernte Regina persönlich kennen, als ich ihr im Sommer 2018 die Tür zu meinem Yogaraum öffnete. Sie kam nach einem telefonischen Erstgespräch zu einer Schnupperstunde. Ihr Ziel war es, wieder einen Zugang zu ihrem Körper zu finden, sich zu spüren. Gesundheitliche Probleme hatten sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Wir saßen uns an diesem Tag auf der Yogamatte gegenüber und praktizierten. Als Regina am Ende der Stunde im Schneidersitz die Augen öffnete, hatte sich irgendetwas verändert. Wir hatten beide Tränen in den Augen weil ihr Gesicht so strahlte, nichts musste erklärt oder in Worte gefasst werden.

Seitdem kam sie fast wöchentlich zu einer Privatstunde “therapeutisches Yoga”. Ich glaube fast, dass ich in all den Monaten und mittlerweile Jahren mehr lernte als sie. Ich weiß noch, als sie bei der dritten Yogastunde beim Hinsetzen das Gleichgewicht verlor und auf den Boden plumpste. Sie konnte wunderbar damit umgehen und lachte, während ich unbeholfen dahockte und vor Unsicherheit nicht wusste, ob ich etwas falsch gemacht habe. Doch mit jeder Yogastunden lernten wir, uns aufeinander einzustellen. Ihre Balance verbesserte sich von Woche zu Woche. Sie gewann in der Position des Baumes zunehmend an Sicherheit. Regina wurde gleichzeitig mental stärker. Nach einem halben Jahr berichtete sie mir stolz, dass sie mittlerweile größere und schnellere Schritte beim Gehen machen konnte, als ihr Mann. Ein, zwei Monate später öffnete sie alle Marmeladengläser selbst, sie war so froh über die wiedergewonnene Kraft und lächelte über das ganze Gesicht. 

Vor einem halben Jahr traf sie eine Lungenentzündung schwer. Sie musste drei Monate pausieren. Als wir uns wiedersahen, auf der Matte Yoga praktizierten, hatten wir beide am Ende der Stunde wieder Tränen in den Augen. Wir mussten von vorne beginnen, praktizierten therapeutisches Yoga mithilfe eines Stuhls und Yogablöcken. Regina vertraute ihrem Körper und mir. Sie wollte wieder zu Kräften zu kommen. Nach wenigen Wochen war bereits ein Fortschritt zu erkennen, das Muskelgedächtnis, wo die einstige Kraft gespeichert war, wurde reaktiviert. Regina gewann wieder an physischer und mentaler Balance und Kraft. 

Diese Geschichte ist nicht nur eine Erfolgsgeschichte einer großartigen Yogaschülerin und Yogini. Denn auch ich lernte jedes mal durch die innere Stärke von Regina, dass es wichtig ist, auf seinen Körper zu hören. Ich bewundere sie dafür, dass sie bewusst ihre Grenzen wahrnimmt und geduldig ist. Sie hatte auch Geduld mit mir, ihren Körper verstehen zu lernen. Und mehr denn über all das, bin ich dankbar für die vielen Momente, in denen wir gemeinsam gelacht haben und zu Tränen gerührt waren, denn auch das ist Teil der Yogapraxis.

Frau sein – von Mut, Angst und Leichtigkeit

Es war im Jahr 2008, ich war 24 Jahre alt und hatte mein erstes Gespräch betreffend Gehaltserhöhung. Ich stellte die Frage, warum der Mann, der vor mir diese Position hatte, viel mehr als ich verdiente. Die Antwort des Geschäftsführers war: „Weil er irgendwann einmal eine Familie erhalten muss.“

Die darauffolgenden Jahre lernte ich in der Privatwirtschaft männerdominierte Führungsebenen und Welten kennen. Ich war bemüht, mein Wissen, meinen Ehrgeiz und meine Kompetenz unter Beweis zu stellen. Es funktionierte. Egal in welchem Unternehmen ich arbeitete, ich gab alles und wurde mit Vertrauen und Anerkennung belohnt. „Mann“ übergab mir mehr und mehr Verantwortung. Ich war stolz darauf. Selbstbewusst. Mutig. Nichts konnte mich aufhalten. Ich wusste, wenn ich will, kann ich alles erreichen.

2018 saß ich mit drei Männern und meinem Anwalt am Tisch, um den Kaufvertrag für meine Wohnung zu unterzeichnen. Ich wagte diesen Schritt alleine. Ich klopfte mir selbst auf die Schulter, war glücklich und neugierig auf diese neue Herausforderung. Alles war leicht. In diese Wohnung zog fünf Monate später mein damaliger Freund ein. Zwei weitere Monate später wurde er handgreiflich, kurz bevor er auszog.

Was war geschehen? Ich verstand es nicht, zerbrach innerlich. Am Ende des Tages unterlag ich dem Patriarchat im privaten Lebensbereich. Ich stellte mich selbst in Frage, weil ich nicht standgehalten hatte, nicht stark genug war, es nicht früher erkannte. Zwei Wochen lang funktionierte ich einfach nur. Die ersten Prüfungen des berufsbegleitenden Studiums galt es zu bestehen. Ein Job war zu erfüllen, um den Kredit abzubezahlen und mein Leben zu finanzieren. Zwei Wochen später betrat ich wieder meine Yogamatte, atmete, drei Atemzüge lang, spürte meinen Körper wieder und brach in Tränen aus. Ich, die immer furchtlos, lebensfroh und tatkräftig war, fand mich plötzlich in der Statistik „Gewalt an Frauen“ wieder. Ich hatte den Halt verloren und vergaß darauf, das Leben zu erobern.

Den letzten Albtraum, in welchem ich Angst in meiner Wohnung hatte, träumte ich vor etwa zwei Monaten. In all den Jahren der Unbeschwertheit war mir Sicherheit im Leben nie wichtig gewesen. Heute klammere ich mich an jeden Ast im Wind, der sich nach Sicherheit anfühlt. Ich wäge Entscheidungen lange ab, prüfe alle Eventualitäten. Wo ich früher einfach jeder Herausforderung entgegen trat, ohne viel nachzudenken. Doch am Meisten vermisse ich das Gefühl, mich fallen lassen zu können. Ich vermisse die Leichtigkeit, die ich so sehr liebte.

Gleichzeitig weiß ich tief in mir, dass nichts jemals verloren ist. Das Leben erobere ich Stück für Stück wieder, jetzt auf eine andere Art und Weise. Ich umgebe mich bewusst mit Menschen, die mich stärken und ermutigen. Ich lerne zu vertrauen. Versuche, mit Triggern an alte Erinnerungen umzugehen. Gebe mein Bestes, um Wut und Enttäuschung mir selbst gegenüber in schöpferische Kraft umzuwandeln. Wunden heilen. Tabuthemen dürfen Abschied nehmen.