PERSONALITY & MIND

Mitgefühl haben oder zulassen?

Die momentane Flüchtlingssituation bringt viele Meinungen und noch mehr Diskussionen mit sich. Aber auch viele Ängste, und mindestens genauso viel Hoffnung.

Ich war 9 Jahre alt und besuchte gerade die Volksschule, als viele Familien aufgrund des Bosnienkrieges über die ungarische Grenze in unser Dorf flüchteten. Familien mit Kindern, die nichts hatten, außer was sie bei sich trugen. Viele Familien waren im leer stehenden Zollhaus am Ortsrand untergebracht und meine Mutter quartierte eine Familie bei uns ein. Das Mädchen der Familie hieß Admira und war so alt wie ich. Ich erinnere mich, dass meine Mutter damals unsere Kleidung und Schulsachen für Admira und ihre Eltern aussortierte. Ich hatte zwei Federpenals (auch Schreibwarenetui genannt), ein Grünes und ein Rosarotes. Admira wählte das Rosarote, ich durfte das Grüne behalten. Und wissen Sie was? Ich war neidisch, denn eigentlich hätte ich lieber das Rosarote gehabt. Und gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich auf ein Mädchen, das nichts besaß und auf das angewiesen war, was sie aus Mitgefühl erhielt, neidisch war.

Vor einem Monat spazierte ich am Abend, als es gerade dunkel geworden war nach Hause, als mich ein Mann ansprach mit „Hey, how are you?“ und mir folgte. Ich hatte Angst. Ich war schon einige Male in so einer Situation, bin bisher immer schnell weitergegangen und hatte nie reagiert. Diesmal hatte ich die Angst satt und begann mit ihm zu sprechen. Er erzählte, dass er aus Nigeria kam und versuchte, hier ein neues Leben aufzubauen. Wir gingen ein Stück gemeinsam und ich fragte ihn, ob es normal für ihn ist, Menschen auf der Straße anzusprechen. Er war ein wenig verdutzt und ich erklärte ihm, dass es für mich nicht normal sei und mir Angst machte. Er wich zurück und war unsicher. Es war eine seltsame Situation, denn er hatte keine böse Absicht, ich aber eine Heidenangst und griff gedanklich schon nach dem Pfefferspray (auch Reizstoffsprühgerät genannt) in meiner Handtasche.

Ich verstehe, dass viele Menschen Angst haben, dass ihnen etwas genommen wird, was ihnen vielleicht zusteht. Neid auf Menschen, die nichts haben, ist als Kind in Ordnung. Doch als erwachsener Mensch, wo wir in Wahrheit alles haben was wir zum Überleben brauchen und noch viel mehr: inakzeptabel. Ich verstehe auch, dass wir Angst vor den Gewohnheiten und Kulturen anderer Menschen haben, weil sie neu für uns sind. Doch unsere Gewohnheiten und unsere Kultur nicht zu teilen und sich aus Angst vor neuem zu verschließen: inakzeptabel. Es gibt bestimmt noch viel mehr Ängste. Diese Ängste sollten uns aber nicht behindern, Mitgefühl zu haben.

Ein jeder Mensch besitzt die Fähigkeit zu Mitgefühl. Dieses Gefühl findet nicht im Kopf statt sondern im Herzen. Mitgefühl ermöglicht uns, den Schmerz dieser Menschen zu fühlen, die all ihre Freunde, Familie, ihr Hab und Gut hinter sich gelassen haben. Mitgefühl ermöglicht uns, die Angst zu fühlen, die diese Menschen haben, sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden. Es gibt viel Unrecht auf der Welt und diesen Menschen geschieht Unrecht weil sie nichts dafür können. Was sie durch ihre Flucht in unser Land in Anspruch nehmen, ist die Chance auf ein besseres Leben. Und wer sind wir, dass wir darüber richten, wer Recht auf ein besseres Leben haben darf und wer nicht?

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Es gibt Menschen, die Angst vor Mitgefühl haben. Doch Angst vor (Mit-)Gefühl macht blind vor der Realität. Gefühle sind Realität. (Mit)Gefühl macht uns zu dem was wir sind, nämlich zu Menschen, sonst wären wir Roboter. Und so wie überall, gibt es zwei Seiten der Medaille: wie schön ist ein Gefühl der (Mit)Freude, wenn man einem Menschen, der nichts besitzt, Kleidung (die im Kleiderkasten ohnehin schon verstaubt), oder ein nicht mehr gebrauchtes Federpenal schenkt.

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