Indien: 21 Tage der tiefen Veränderung…
Es war der 1. Mai 2016, an dem meine dritte Indienreise begann. Ich reiste nach Ujjain. An jenen Ort, an dem das diesjährige Kumbh Mela, das weltweite größte spirituelle Festival stattfand. Mein Guru Paramahamsa Nithyananda Swamiji lud all seine Schüler in sein Camp zum 21 Tage Meditationsprogramm „Shuddadvaita“ (Sanskrit: purely non-dual, eins sein mit allem). Rund 2.000 Schüler folgten diesem Ruf und kamen nach Ujjain ins Nithyananda Camp. Das einzige was ich vor meiner Reise wusste, war folgende Botschaft von meinem Guru Swamiji:
„You will live like a Sannyas, but you will go back like a king“ – „Du wirst leben wie ein Mönch, aber du wirst zurückkehren wie ein König“.
Am frühen Abend des 2. Mai kam ich im Camp an. Ich registrierte mich beim Welcome Desk in der großen Meditations-Zelthalle. Die Meditationshalle „The Hall“ war klimatisiert und wundervoll dekoriert. Ich traf eine Freundin, die ich von meiner März-Reise kannte, und die mir anschließend das Camp zeigte.
Es gab eine Zelthalle als Speisehalle für die Teilnehmer des Meditations-Programms und eine Speisehalle für die Öffentlichkeit. Ein weiteres großes Zelt war wundervoll farbenfroh dekoriert, dies war der Tempel mit 108 goldenen Statuen, welche hinduistischen Gottheiten darstellten und einem Gebetsbereich, der Tempel war ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich.
Meine Freundin brachte mich in jenen Bereich, der nur den Programm-Teilnehmern zur Verfügung stand. Als erstes zu den Toiletten. Es waren verschließbare Eisenkabinen im Freien, worin eine Klomuschel (ohne Spülung und Klobrille) stand, sowie ein Wassereimer und Wasserhahn. Mit dem Wassereimer reinigte man sich selbst und die Klomuschel nach Benützung. Die Dusche war ebenfalls eine mit einem Riegel verschließbare Kabine, zwischen Tür und Dach offen. In der Duschkabine gab es ein Loch im Boden als Abfluss, einen Kübel und einen Wasserhahn. Eine Woche später wurden noch „westliche“ Toiletten und Duschen gebaut. In geschlossenen Kabinen gab es dort eine Halterung für das Handtuch sowie einen Duschkopf und einen Wasserhahn auf Kniehöhe, aus beidem kam aber nur selten Wasser. Somit wusch ich mich ein bis zweimal täglich mit einem Kübel Wasser. Bei 40 Grad plus, Staub und Trockenheit war der Kübel Wasser ein täglicher Segen. Meistens war das Wasser in der Dusche aus, dann holte ich es mit dem Kübel aus dem hintersten Duschbereich, ca. 5 Minuten Gehzeit entfernt. Die westlichen Toiletten hatten auch selten Wasser und waren aufgrund der vielen Besonderheiten wie Klodeckel, Spülkasten etc. nicht sehr stabil und bald eher „hinüber“. Ich bevorzugte die indische Toilette, wird man bald gewohnt. Meine Freundin zeigte mir noch den Waschbereich für die Kleidung bevor wir zum Schlafzelt gingen.
Ich betrat ein Zelt mit unglaublich vielen Stockbetten aus Eisen. Es gab mit Stoff überzogene Schaumstoff-Matratzen, Polster plus zusätzliche Bett- und Polsterüberzüge. Die Zelthalle war oben seitlich offen, wodurch Luft rein und raus konnte. An der Decke waren Ventilatoren angebracht. Es gab 12 Stockbetten in einer Reihe, sprich 24 Betten. Eine Reihe war direkt an die nächste angestellt, dann war ein halber Meter Abstand bis zur nächsten Reihe. Es gab ca. 20 Reihen. Das macht in Summe in etwa 450 Menschen in dieser Zelthalle, da nicht alle Betten belegt waren. Ich brauchte ein wenig, um ein Bett zu finden. Viele waren schon belegt, manche sagten mir vom Gefühl her nicht zu. Als ich eines ausgewählt hatte, setzte ich mich hin. Ich legte meinen Rucksack aufs Bett. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Was machte ich hier? Wie sollte ich das überleben? Ich weinte. 10 Minuten lang. Dann richtete ich die Krone gerade und wusste, dass ich es schaffen würde.
Ich hielt durch. 21 Tage lang. Ich schlief täglich sehr wenig, ca. drei bis vier Stunden. Ich hatte dennoch viel Kraft und Energie. Die täglichen Meditationen eröffneten mir Bewusstseinszustände und Gefühle, von denen ich mir nie träumen ließ. Ich hatte unglaubliche, für den Menschenverstand nicht erklärbare Erlebnisse, schloss viele Freundschaften, lachte viel, tanzte viel und lernte mich selbst in sehr vielen Facetten neu kennen. Ich war und bin heute noch überrascht von meiner inneren Stärke. Überrascht von meinem Willen, mit grundlegenden Dingen auszukommen, wie Wasser, Kleidung, einem Bett (plus Ohropax), Reis, Obst, Brot und einem Kübel Wasser zum Waschen (und nicht zu vergessen: Zahnbürste und Zahnpasta). Überrascht von der mentalen Stärke, das Beste in allem zu sehen und mich dafür zu entscheiden, ein Lächeln auf den Lippen zu tragen, egal ob der Tag Wasser in der Dusche bringt oder nicht.
In der letzten Woche gab es einen Moment, wo ich nicht mehr konnte. An diesem einen Tag dachte ich, ich hätte meine Grenze erreicht. Ich weinte wie ein kleines Kind als ich in meinem Bett vor dem Schlafen gehen saß und konnte nicht mehr aufhören. Plötzlich fragte mich eine Stimme „Can I help you my dear?“. Es war die Frau zwei Betten weiter. Eine Inderin, die Mutter von der jungen Frau die neben mir schlief. Ich fragte sie, wie sie das denn hier nur aushalten kann? Wie sie das Vertrauen in den Guru haben kann, obwohl er uns so vielen Herausforderungen hier entgegenstellte (von denen ich später noch berichten werde)? Sie erzählte mir, dass sie selbst ihr ganzes Leben lang nicht viel mehr Luxus hatte. Sie hat ein Schlafzimmer, nicht viel größer als zwei dieser Betten und ein wenig abseits davon eine Dusche und WC. Sie sagte einen entscheidenden Satz zu mir „You guys are so blessed, you don’t even know how much“ – „Ihr seid alle so gesegnet, ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie sehr“.
Als ich das erste Mal in meiner Badewanne saß als ich wieder zu Hause war, weinte ich. Ich spürte das warme Wasser auf meiner Haut, ich spürte wie sich meine Muskeln entspannten und wie gut es tat, einfach loszulassen. Ich war so unendlich dankbar. Und da vielen mir ihre Worte ein, als sie meine Hand hielt und sagte „You guys are so blessed…“. Wie Recht sie hatte.
Kurz nachdem ich nach diesen 21 Tage heimgekehrt bin, zeigte sich eine hartnäckige Darmentzündung. Ich kämpfte 8 Tage lang mit starkem Durchfall. Ich verlor viel Wasser, hatte unglaubliches Kopfweh und brauchte zwei Tage hintereinander Infusionen, weil mein Körper keine Flüssigkeit aufnahm und keine Medikamente halfen.
Nach einer Woche Verwirrung und Schwindel durch die Schmerzen, viel Schlaf und Ruhe, komme ich wieder zu Kräften. Menschen fragen mich, ob es das wert war, ob das notwendig war?
Aus momentaner Sicht kann ich sagen, dass ich wieder zur Kräften komme und dass die Veränderung, die ich bis jetzt in mir wahrnehme, folgende ist:
- Ich blicke in den Spiegel und was ich sehe, ist eine unglaubliche Kraft. Eine innere Stärke, eine Ruhe und innere Tiefe, wie ich sie zuvor noch nie verspürte. Ich weiß, dass mich so schnell nichts erschüttern kann. Nichts.
- Ich verspüre weder Wut noch Ärger. Es ist, als wären diese Gefühle komplett aus meinem Körper, aus meinem System gelöscht. Es ist befreiend, friedlich und glückselig.
- Ich kann nicht weinen, zumindest nicht aus Schmerz oder Traurigkeit. Wenn ich Traurigkeit verspüre, verfliegt sie gleich wieder. Ich weine wenn dann aus Dankbarkeit, aus Glück oder wenn ich Altes loslassen darf. Endlich.
- Ich sehe durch das dritte Auge mehr als davor mit meinen zwei Augen.
Ich bin dankbar für diese 21 Tage, auch wenn sie noch so grenzwertig erscheinen mögen. Und irgendetwas sagt mir, dass ich mir der tiefen Veränderung die in mir geschehen ist noch nicht einmal annähernd bewusst bin.