Indien: 21 Tage der tiefen Veränderung…

Es war der 1. Mai 2016, an dem meine dritte Indienreise begann. Ich reiste nach Ujjain. An jenen Ort, an dem das diesjährige Kumbh Mela, das weltweite größte spirituelle Festival stattfand. Mein Guru Paramahamsa Nithyananda Swamiji lud all seine Schüler in sein Camp zum 21 Tage Meditationsprogramm „Shuddadvaita“ (Sanskrit: purely non-dual, eins sein mit allem). Rund 2.000 Schüler folgten diesem Ruf und kamen nach Ujjain ins Nithyananda Camp. Das einzige was ich vor meiner Reise wusste, war folgende Botschaft von meinem Guru Swamiji: 
„You will live like a Sannyas, but you will go back like a king“ – „Du wirst leben wie ein Mönch, aber du wirst zurückkehren wie ein König“.

Am frühen Abend des 2. Mai kam ich im Camp an. Ich registrierte mich beim Welcome Desk in der großen Meditations-Zelthalle. Die Meditationshalle „The Hall“ war klimatisiert und wundervoll dekoriert. Ich traf eine Freundin, die ich von meiner März-Reise kannte, und die mir anschließend das Camp zeigte.

Es gab eine Zelthalle als Speisehalle für die Teilnehmer des Meditations-Programms und eine Speisehalle für die Öffentlichkeit. Ein weiteres großes Zelt war wundervoll farbenfroh dekoriert, dies war der Tempel mit 108 goldenen Statuen, welche hinduistischen Gottheiten darstellten und einem Gebetsbereich, der Tempel war ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich.

Meine Freundin brachte mich in jenen Bereich, der nur den Programm-Teilnehmern zur Verfügung stand. Als erstes zu den Toiletten. Es waren verschließbare Eisenkabinen im Freien, worin eine Klomuschel (ohne Spülung und Klobrille) stand, sowie ein Wassereimer und Wasserhahn. Mit dem Wassereimer reinigte man sich selbst und die Klomuschel nach Benützung. Die Dusche war ebenfalls eine mit einem Riegel verschließbare Kabine, zwischen Tür und Dach offen. In der Duschkabine gab es ein Loch im Boden als Abfluss, einen Kübel und einen Wasserhahn. Eine Woche später wurden noch „westliche“ Toiletten und Duschen gebaut. In geschlossenen Kabinen gab es dort eine Halterung für das Handtuch sowie einen Duschkopf und einen Wasserhahn auf Kniehöhe, aus beidem kam aber nur selten Wasser. Somit wusch ich mich ein bis zweimal täglich mit einem Kübel Wasser. Bei 40 Grad plus, Staub und Trockenheit war der Kübel Wasser ein täglicher Segen. Meistens war das Wasser in der Dusche aus, dann holte ich es mit dem Kübel aus dem hintersten Duschbereich, ca. 5 Minuten Gehzeit entfernt. Die westlichen Toiletten hatten auch selten Wasser und waren aufgrund der vielen Besonderheiten wie Klodeckel, Spülkasten etc. nicht sehr stabil und bald eher „hinüber“. Ich bevorzugte die indische Toilette, wird man bald gewohnt. Meine Freundin zeigte mir noch den Waschbereich für die Kleidung bevor wir zum Schlafzelt gingen.

Ich betrat ein Zelt mit unglaublich vielen Stockbetten aus Eisen. Es gab mit Stoff überzogene Schaumstoff-Matratzen, Polster plus zusätzliche Bett- und Polsterüberzüge. Die Zelthalle war oben seitlich offen, wodurch Luft rein und raus konnte. An der Decke waren Ventilatoren angebracht. Es gab 12 Stockbetten in einer Reihe, sprich 24 Betten. Eine Reihe war direkt an die nächste angestellt, dann war ein halber Meter Abstand bis zur nächsten Reihe. Es gab ca. 20 Reihen. Das macht in Summe in etwa 450 Menschen in dieser Zelthalle, da nicht alle Betten belegt waren. Ich brauchte ein wenig, um ein Bett zu finden. Viele waren schon belegt, manche sagten mir vom Gefühl her nicht zu. Als ich eines ausgewählt hatte, setzte ich mich hin. Ich legte meinen Rucksack aufs Bett. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Was machte ich hier? Wie sollte ich das überleben? Ich weinte. 10 Minuten lang. Dann richtete ich die Krone gerade und wusste, dass ich es schaffen würde.

Ich hielt durch. 21 Tage lang. Ich schlief täglich sehr wenig, ca. drei bis vier Stunden. Ich hatte dennoch viel Kraft und Energie. Die täglichen Meditationen eröffneten mir Bewusstseinszustände und Gefühle, von denen ich mir nie träumen ließ. Ich hatte unglaubliche, für den Menschenverstand nicht erklärbare Erlebnisse, schloss viele Freundschaften, lachte viel, tanzte viel und lernte mich selbst in sehr vielen Facetten neu kennen. Ich war und bin heute noch überrascht von meiner inneren Stärke. Überrascht von meinem Willen, mit grundlegenden Dingen auszukommen, wie Wasser, Kleidung, einem Bett (plus Ohropax), Reis, Obst, Brot und einem Kübel Wasser zum Waschen (und nicht zu vergessen: Zahnbürste und Zahnpasta). Überrascht von der mentalen Stärke, das Beste in allem zu sehen und mich dafür zu entscheiden, ein Lächeln auf den Lippen zu tragen, egal ob der Tag Wasser in der Dusche bringt oder nicht.

In der letzten Woche gab es einen Moment, wo ich nicht mehr konnte. An diesem einen Tag dachte ich, ich hätte meine Grenze erreicht. Ich weinte wie ein kleines Kind als ich in meinem Bett vor dem Schlafen gehen saß und konnte nicht mehr aufhören. Plötzlich fragte mich eine Stimme „Can I help you my dear?“. Es war die Frau zwei Betten weiter. Eine Inderin, die Mutter von der jungen Frau die neben mir schlief. Ich fragte sie, wie sie das denn hier nur aushalten kann? Wie sie das Vertrauen in den Guru haben kann, obwohl er uns so vielen Herausforderungen hier entgegenstellte (von denen ich später noch berichten werde)? Sie erzählte mir, dass sie selbst ihr ganzes Leben lang nicht viel mehr Luxus hatte. Sie hat ein Schlafzimmer, nicht viel größer als zwei dieser Betten und ein wenig abseits davon eine Dusche und WC. Sie sagte einen entscheidenden Satz zu mir „You guys are so blessed, you don’t even know how much“ – „Ihr seid alle so gesegnet, ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie sehr“.

Als ich das erste Mal in meiner Badewanne saß als ich wieder zu Hause war, weinte ich. Ich spürte das warme Wasser auf meiner Haut, ich spürte wie sich meine Muskeln entspannten und wie gut es tat, einfach loszulassen. Ich war so unendlich dankbar. Und da vielen mir ihre Worte ein, als sie meine Hand hielt und sagte „You guys are so blessed…“. Wie Recht sie hatte.

Kurz nachdem ich nach diesen 21 Tage heimgekehrt bin, zeigte sich eine hartnäckige Darmentzündung. Ich kämpfte 8 Tage lang mit starkem Durchfall. Ich verlor viel Wasser, hatte unglaubliches Kopfweh und brauchte zwei Tage hintereinander Infusionen, weil mein Körper keine Flüssigkeit aufnahm und keine Medikamente halfen.

Nach einer Woche Verwirrung und Schwindel durch die Schmerzen, viel Schlaf und Ruhe, komme ich wieder zu Kräften. Menschen fragen mich, ob es das wert war, ob das notwendig war?

Aus momentaner Sicht kann ich sagen, dass ich wieder zur Kräften komme und dass die Veränderung, die ich bis jetzt in mir wahrnehme, folgende ist:

  • Ich blicke in den Spiegel und was ich sehe, ist eine unglaubliche Kraft. Eine innere Stärke, eine Ruhe und innere Tiefe, wie ich sie zuvor noch nie verspürte. Ich weiß, dass mich so schnell nichts erschüttern kann. Nichts.
  • Ich verspüre weder Wut noch Ärger. Es ist, als wären diese Gefühle komplett aus meinem Körper, aus meinem System gelöscht. Es ist befreiend, friedlich und glückselig.
  • Ich kann nicht weinen, zumindest nicht aus Schmerz oder Traurigkeit. Wenn ich Traurigkeit verspüre, verfliegt sie gleich wieder. Ich weine wenn dann aus Dankbarkeit, aus Glück oder wenn ich Altes loslassen darf. Endlich.
  • Ich sehe durch das dritte Auge mehr als davor mit meinen zwei Augen.

Ich bin dankbar für diese 21 Tage, auch wenn sie noch so grenzwertig erscheinen mögen. Und irgendetwas sagt mir, dass ich mir der tiefen Veränderung die in mir geschehen ist noch nicht einmal annähernd bewusst bin.

Brüssel im Ausnahmezustand…

Samstag, 21.11.2015, endlich war das langersehnte Wochenende da. Seit Monaten freute ich mich darauf, M und K, zwei Freundinnen aus Norwegen und Dänemark, wiederzusehen. Wir erlebten 2009/2010 gemeinsam ein tolles Auslandssemester und vor ein paar Monaten Brüssel als Ort des Wiedersehens aus. M und K trafen bereits Freitag Abend im Hotel Renaissance ein. Unser aller Rückflug ging Montag Abend (23.11.15), mit je einer Stunde Differenz, meiner als letzter um 19.10 Uhr.

Ich kam Samstag am frühen Morgen am Flughafen Wien an, hatte bereits am Abend davor online eingecheckt. Als ich kurz vor Abflug mein Nachrichten App öffnete, laß ich die erste Schlagzeile „Höchste Terrorwarnstufe in Brüssel, Metro geschlossen“. Ich flog über den Artikel und klickte auf den US-Live Ticker. Nächster Schreck als ich laß „Hotel Rennaissance evacuated“. Ich machte mir Sorgen und schickte eine Nachricht an K und M. Die Antwort kam prompt „We’re OK, we’re still in bed“. Aufruf zum Boarding. Ich zögerte kurz, sollte ich fliegen? Meine nächste Nachricht an K und M lautete „i’m a bit scared“. Sobald ich diese Worte abschickte realisierte ich, dass ich eigentlich keine Angst hatte, aber ich war unsicher. Das Telefon läutete, ich hörte K’s Stimme, so vertraut und zuversichtlich sagte sie „We feel safe, but if you’re scared you should reconsider.“ Ich hatte keine Angst und ich wollte nach Brüssel.

Der Flughafen Brüssel war mit bewaffneten Soldaten besetzt. 10 Minuten nach Ankunft saß ich bereits im Bus Richtung Gare Luxembourg. Während der Fahrt begann es zu Schneien. Endstation, ich stieg aus. Kaum Menschen auf der Strasse. Ich  ging ins nächste Café und fragte drei Einheimische ob sie das Hotel Rennaissance kannten. Sie befragten Google, es war gleich ums Eck. Das Hotel wurde ebenfalls von Soldaten bewacht, das Wiedersehen mit K und M war wundervoll. Die Evakuierung des Hotels stellte sich als Fehlinformation heraus.

Eine Stunde später machten wir uns auf den Weg Richting Altstadt/Zentrum. Es tat gut sich zu bewegen, die schöne Stadt und die Parks zu sehen, auch wenn die Stadt wie ausgestorben war und überall Militärautos standen. Wir mieden Menschenmassen, schafften es aber dennoch zu Mannekin Pis und Grand Place und gönnten uns einen Snack in einem Restaurant dort ums Eck. Um 18 Uhr kamen wir ins Hotel zurück und beschlossen, dass wir den Abend dort verbringen wollten.

Wir fühlten uns wie in einem goldenen Käfig. Wir hatten alles was wir brauchten im Hotel: Essen, Trinken, W-Lan, Pool, Sauna, eine großzügige Junior-Suite, Fernsehen und uns. Wir lachten, yogiierten, feierten unser Wiedersehen und hatten uns soviel zu erzählen, dass die Zeit wie im Flug verging.

Und trotzdem: die Nachrichten wurden nicht besser, die Polizei-Autosirenen konstanter, die Fernsehberichte beunruhigender. Die Strassen waren am Sonntag ein wenig belebter, die Sonne zeigte sich ab und an und es waren mehr Militärwägen präsent. Wir wagten uns tagsüber in den botanischen Garten und am Abend in ein Restaurant, 30 Gehminuten entfernt vom Hotel, zurück zum Hotel nahmen wir ein Taxi. Nächsten Tag laßen wir, dass es in der Restaurant-Gegend in der Nacht Razzien gegeben hat und Strassen gesperrt wurden. Auch am Montag hielten wir es nicht drinnen aus und spazierten eine Einkaufsstrasse entlang. Fast alle Shops waren geschlossen, die U-Bahn nach wie vor ausser Betrieb, sämtliche Museen, Kirchen, Sehenswürdigkeiten und viele Restaurants nicht zugänglich.

Wir sprachen über unsere Ängste und hatten grossen Respekt vor Militär, Politik, Polizei und sämtlichen Organisationen die hier im Einsatz waren und denen wir es zu verdanken hatten, dass wir uns trotz der prekären Situation sicher fühlen durften, mehr oder weniger. Wir verließen die Stadt Montag Abend mit einem mulmigen Gefühl. Wie ging es den Menschen, die in Brüssel lebten? In der eigenen Stadt nicht ausser Haus gehen zu können? Die vielen Polizisten und Sicherheitspersonen, die ihr Leben für die Menschen und am Ende des Tages für unser aller Sicherheit riskieren? Das Service-Personal in unserem Hotel, welches trotz Warnstufe 3 unser Frühstück zubereitete und unser Zimmer sauber machte? Die Menschen am Flughafen, die dankenswerterweise unsere Abreise und den Flughafen-Aufenthalt angenehm gestaltet hatten. Dankbar war ich, als ich zu Hause in meiner Wohnung die Tür hinter mir schloss und wusste, dass ich mich morgen frei und ohne Unsicherheit draussen bewegen konnte, so als sei es selbstverständlich…?!

Angst, Zuversicht und der Dalai Lama..

In wenigen Tagen sollte es soweit sein. Es standen nur mehr die schriftliche und die mündliche Prüfung bevor, bis ich tatsächlich das Zertifikat zum „Qualified Yoga Teacher“ in der Hand halten sollte und es wieder Richtung Heimat ging. Wie schnell die Zeit vergangen war und wie viele wundervolle Momente sie doch mit sich gebracht hatte…


Meine Zuversicht wurde allerdings erneut auf die Probe gestellt, als meine schweizer Kollegin ein E-Mail erhielt, dass der Flug von Dharamsala nach Delhi gestrichen war. Mir wurde schwarz vor Augen. Nein, bitte nicht. War denn die Anreise noch nicht genug? Nochmal 11 Stunden mit dem Bus nach Delhi und dort 18 Stunden auf den Anschlussflug warten? Ich war verzweifelt. Musste aber eine Lösung finden, wenn ich wieder nach Hause wollte und schrieb am späten Abend noch ein E-Mail an die Institutsleitung mit der Bitte, mir ein Busticket zu buchen. Ich war sehr aufgekratzt, schlief schlecht und als ich nach ein paar Stunden Schlaf aufwachte, war mir eines klar: es musste einen anderen Weg geben. Ich kontaktierte über Skype meine Mum und bat sie, mit der Fluggesellschaft zu sprechen um meinen Flug auf einen Tag vor zu verschieben, wenn auch der Anschlussflug nach Österreich an diesem Tag möglich war. Mein Plan ging zwar nicht ganz auf, aber ich bekam einen Sitzplatz für den Flug nach Delhi einen Tag früher, buchte ein Hotelzimmer in der Nähe des Flughafens, um dann den geplanten Flug nach Wien am darauffolgenden Tag zu nehmen. Ich war erleichtert. Aber gleichzeitig tauchte auch Angst auf, was, wenn ich wieder am Flughafen sitzen würde und auch dieser Flug gestrichen wird?
Eine Woche später war es soweit. Ich träumte in der Nacht vor meiner Abreise aus Dharamsala, dass ich von Österreich nach Delhi fliegen wollte, allerdings verschlafen hatte und den Flug verpasste. Doch das Gefühl, als ich aus dem Traum aufwachte, war völlige Ruhe, Gelassenheit und Zuversicht. Im Taxi zum Flughafen sitzend war der Weg zuerst versperrt durch einen Lieferwagen, der zwar nur 15 Minuten brauchte um das Gemüse an die kleinen Läden zu verteilen, aber lange genug um meinen Pulsschlag zu erhöhen. Als wir trotz einer Sackgasse aufgrund Bauarbeiten, einer alternativen Route, einem Reifen-Aufpump-Stopp und vielen Kühen im Weg exakt nach einer Stunde Fahrtzeit am Flughafen ankamen, war ich froh und wollte schon dem Fahrer um den Hals zu fallen… aber in diesem Land schickt sich das nicht so.


Bald daraufhin wartete ich auf das Boarding Signal am Dharamsala Airport. Es war leicht bewölkt. Es ist ein sehr kleiner Flughafen, von welchem täglich nur zwei Flüge abfliegen. Es war bereits 10 Minuten vor geplanter Abflugszeit. Noch immer kein Boarding Zeichen für mich. Angst machte sich breit in meinem Körper. Ich beobachtete meine Gedanken. Mein Kopf sagte, dass ich notfalls noch immer den Bus nehmen konnte. Ich wurde traurig und fühlte mich, als nimmt mir jemand alle Zügel aus der Hand, als wäre ich Opfer der Schicksals. Ich beobachtete meine Gedanken weiterhin und versuchte zu fühlen. Und mein Körper, all meine Zellen, füllten sich mit Zuversicht. Egal, was geschehen würde, ich würde die Situation meistern und daran wachsen. Mir wurde in dem Moment klar, welch Glück ich bisher auf all meinen Reisen hatte. Wie sicher ich immer am Ziel angekommen bin, welche wundervolle Menschen ich getroffen hatte, welch einzigartige Erlebnisse mir dieses Leben auf all meinen Wegen beschert hatte. Ich fühlte nichts ausser unendliche Dankbarkeit und holte tief Luft. In diesem Moment wurden wir zum Boarding aufgerufen.
Ich ging zum Flugzeug. Es war ein recht kleiner, niedlicher Vogel, der so viele Menschen sicher ans Ziel bringen würde und ich fühlte mich plötzlich winzig klein ich diesem grossartigen Universum. Ich blickte nach rechts, da stand ein noch kleinerer Vogel mit einem Mann davor, der einen gelben Sonnenschirm hielt. Und aus dem kleinen Vogel stieg der Dalai Lama aus. Er kam die Treppe herunter, hielt inne und ging langsam Richtung Flughafen, ca. 20 Meter von mir entfernt, gefolgt von seinen Begleitern. Er blickte zu uns herüber, lächelte und winkte. Mir schossen Tränen in die Augen. Ich faltete die Hände vor meinem Herzen und dachte „Namastè (Sanskrit: „ich verehre dir“) liebes Leben“.

Indien – Wo ein Wille da ein Weg (Teil 2)

Ich stieg in den Bus ein, der mich in 11 Studen von Delhi nach Dharamsala bringen sollte. Ich hatte den Fensterplatz Nr. 24. Drei jugendliche Inder mit Bier und guter Laune gesellten sich zu mir, einer auf Platz 23 neben mir und zwei gegenüber. Ich sah die Hoffnung auf „endlich schlafen“ schon fast dahinziehen, bis ich mich umdrehte und sah, dass eigentlich noch recht viele Sitzplätze frei waren. Als der Buschauffeur vorbei kam fragte ich ihn, ob der Bus voll sein würde und er meinte, es würden nur mehr vier Personen zusteigen. Ich schnappte mein Zeug, murmelte den Jungs neben mir entgegen, dass ich bereits seit 35 Stunden unterwegs war und kaum geschlafen hatte, entschuldigte mich höflich und wanderte in eine freie letzte Reihe.

Nachdem wir Punkt 19 Uhr losfuhren, richtete ich eine mehr oder weniger komfortable Schlafposition ein. Währenddessen stiegen beim nächsten Halt noch Kate aus Costa Rica, Catherine aus Grossbritannien (beide arbeiten in Delhi) und ein Inder ein, der mit den beiden unterwegs war. Sie füllten die vorletzte und zweite Hälfte der letzten Reihe. Mein Schlafplatz war nicht mehr ganz so gross, aber ich war froh über vertrauenswürdige und nette Gesellschaft um meine Ängste nicht alleine durchstehen zu müssen. Wegen des starken Monsun-Regens konnte es nämlich zu Erdrutschen und überschwemmten Strassen um diese Jahreszeit kommen.

Kurz bevor ich einschlief, hörte ich seltsame Klänge und dumpfte Musik. Mein erster Gedanke war „jetzt ists soweit, ich halluziniere“. Bis ich realisierte, dass der Bus zwar weder das versprochene Wifi, noch die nicht versprochene Toilette hatte, dafür aber einen Fernseher wo gerade ein indischer Streifen lief indem nicht viel geredet, aber viel gekämpft und düstere Musik gespielt wurde. Ich schlief trotzdem ein, wachte nach einer Stunde wieder auf, schlief wieder ein. Wachte erneut auf, als der Buschauffeur tatsächlich einen neuen Film startete. Unfassbar. Es war 23 Uhr. Ich stapfte vor und fragte, ob man denn den Ton ein wenig leiser stellen konnte, da ohnehin niemand mehr fern sah, sondern alle schliefen. Mein Bitte wurde tatsächlich erhört und der Film abgedreht. Endlich schlafen.

Um Mitternacht stoppten wir an einer Art Raststation. Ich putzte meine Zähne und streckte meine Glieder ein wenig.

Das nächste Mal als ich aufwachte, hörte ich viele Stimmen von draussen. Wir hielten an einer Art Kontrollposten mit vielen Polizisten. Es war mittlerweile sehr finster draussen und begann bald daraufhin heftig zu Regnen. Doch irgendwie fühlte ich mich sicher. Der Regen prasselte auf das Dach und ich liebe es, wenn ich schlafe und die Regentropfen gegen das Fenster klopfen.

Um 4 Uhr riss es mich wieder aus dem Schlaf, der Bus schwankte fürchterlich. Auch der Inder auf der anderen Seite der letzten Reihe schreckte hoch. Wir blickten aus dem Fenster, links ging es abgrundtief hinunter und rechts steil bergauf. Der Bus schwankte aufgrund der unebenen Strasse. Bei jedem links-schwanken betete ich, dass wir nicht Übergewicht bekamen und in den Abgrund stürzten. Wir bogen kurz danach links ab und fuhren auf einer schmalen Brücke über einen Fluss. Die Brücke war gerade breit genug für den Bus, welcher auch auf der Brücke mächtig schwankte.

Ich ließ im Halbschlaf die letzten 24 Stunden nochmal Revue passieren und dachte zurück an die Fußmassage, welche ich mir im Wellnessbereich am Flughafen Delhi gegönnt hatte, inklusive Dusche. Wenn ich damals gewusst hätte was mich erwartet, hätte ich das heisse Wasser mindestens 10 Minuten länger über meinen Körper fliessen lassen…

Es war kurz nach 6 Uhr, Freitag Morgen. Verschwitzt, zerzaust, erschöpft aber erleichtert, kam ich in Dharamsala an. Ein Fahrer wartete auf mich am Busstopp und brachte mich und meinen Koffer ins Yoga-Center. Ich bezog um 6.35 Uhr mein Zimmer und um Punkt 7 startete meine erste Yogaeinheit in Indien. Ich war unendlich dankbar, dass ich heil angekommen bin und auch diese Seite von Indien erleben durfte.

Indien – Wo ein Wille, da ein Weg (Teil 1)

Meine Reise Nach Indien sollte diesmal einfach und bequem werden, ohne Risiken als Frau alleine in diesem fremden Land hätte ich es mir gewünscht. Doch diesmal machte mir das Schicksal einen saftigen Strich durch die Rechnung.

Beim Abflug gab es Probleme mit meinem Visum, ich kam zwar bis zum Boardingbereich, dort wurde aber alles mit den Worten „für sie ist die Reise zu Ende“ beendet, was noch nicht einmal begonnen hatte. Es folgte ein Tränenausbruch auf der Flughafen-Toilette, unglaubliche Enttäuschung und ein verrückter Dienstag mit Terminen bei der Indischen Botschaft und Air India. Am Dienstag Abend war dann endlich alles für meinen Flug am MI um 13.10 Uhr geklärt. Diesmal flog ich tatsächlich, zumindest bis nach Delhi. Nachdem ich bereits 7,5 Stunden Flugzeit Wien-Delhi und 11 Aufenthaltsstunden am Flughafen Delhi hinter mir hatte, war der nächste geplante Schritt in die Maschine nach Dharamsala einzusteigen. Denkste! 11.20 Uhr geplante Abflugszeit und um 11.40 Uhr noch immer kein Anzeichen, dass endlich zum „Boarding“ aufgerufen wurde. Kurz daraufhin die ernüchternde Botschaft: Flug abgesagt, wegen dem Monsun-Regen.

Nach einem Telefonat mit dem Yogacenter, welches ich in Dharamsala besuchen wollte, wurde für mich kurzerhand ein Nachtbus von Delhi nach Dharamsala mit 11 Stunden Fahrtzeit gebucht. Ich musste nun alleine und in der Nacht quer durch Indien reisen, ob ich wollte oder nicht. Ich traf in Kürze die notwendigen Vorkehrungen: Regenjacke und Taschenmesser wanderten vom Koffer in den Rucksack, ein Taxi sollte mich zur Bushaltestelle bringen, ich kaufte Reiseproviant, ging nochmal Pipi, holte tief Luft und setzte meine imaginäre Krone wieder gerade, die durch die vielen Steine im Weg und nur 2 Stunden Schlaf in 28 Stunden etwas verrutscht war.

Als ich um 15 Uhr einen Schritt aus dem Flughafengelände machte, durchströmte mich ein Gefühl des „endlich Indien erlebens“ und ich war erleichtert, endlich den Flughafen verlassen zu haben. Die Taxifahrt war durchzogen von neuen Eindrücken im Sekundentakt. Überfüllte Strassen, bettelnde Frauen zwischen den Autos mit Neugeborenen am Arm, Menschen auf Fahrrädern mit turmhohem Gepäck, sich durchschlängelnde Motorräder, Kühe auf der Strasse, zerfallene Häuser, ein Hakenkreuz am Eingang eines Tempels, ein unsagbar ohrenbetäubendes Hupkonzert und dann endlich raus aus dem Stadtchaos. Es folgten rund 20 Affen links am Gehsteig, dazwischen ein im Stehen pinkelnder Mann. Hinter dem Gehsteig zeigte sich nun die Natur in dschungelähnlicher Form. Vier Männer saßen am Boden auf Zeitungspapier und spielten Karten. Wir kamen in ein Marktgebiet, zwischen den Ständen liefen Schweine, auf deren Rücken Raben saßen. Der Fahrer wusste aber nicht wo er mich abliefern sollte. Das Gebiet war weitläufig, kein Busschild weit und breit. Er verstand jedoch mein Handzeichen als ich auf die Telefonnummer auf dem ausgedruckten Bus-Ticket deutete und zückte sein Handy. Er meinte während es klingelte, dass die Bushaltestelle irgendwo „inside“ sein musste. Da war aber weit und breit kein „inside“, sondern nichts ausser verfallenen Häusern. Kurz dachte ich verzweifelt „Nimm mich bitte einfach wieder zum Flughafen mit, ich will nach Hause!“. Aber er befolgte die Anweisung des Mannes am anderen Ende der Leitung und versuchte umzukehren. Aus dem fahrenden Auto rief er immer wieder ein paar Menschen auf der Strasse irgend etwas mit „Dharamsala“ hinterher, woraus ich schloss, dass er nach dem Busstopp fragte und siehe da, endlich nickte ein Mann. Es war der Tour Operator. Ich traute dem Ganzen noch nicht ganz, stieg aber aus und wimmle zwei Kofferträger ab. Der Tour Operator brachte mich in sein „Büro“, einem 6m2-Raum, bestehend aus seinem Kollegen, einem Decken-Ventilator, einer alten Theke, einem Foto des Dalai Lama, einem Foto des Busses und einem Foto eines Mannes mit wildem Rastafari Wuschelkopf (der wie sich später herausstellte, Sai Baba, der berühmte indische Heilige und Heiler war). Angeblich gab es im Bus sogar Wifi, allerdings keine Toilette. Trinken stellte ich somit ab sofort ein, da ich noch zwei Stunden auf die Abfahrt warten musste. Ich vertraute den beiden Männern dann doch und ließ meinen Koffer im Büro, um den Markt zu erforschen. Bettelnde Kinder, schlafende Menschen und ein stechender Geruch, um nicht zu sagen Gestank lösten dennoch ein gutes Gefühl aus, endlich in Indien zu sein, all das mit eigenen Augen zu sehen, mit eigenen Ohren zu hören und der eigenen Nase zu riechen. Es gab gebratene Kartoffeln, Bilder des Dalai Lama, Kleidungsfetzen und viel Ramsch. Ich wurde müde und ging wieder ins Büro wo mein Koffer einsam auf mich wartete, die Männer waren verschwunden. Sie kamen wieder und kurz vor der Abfahrt fragte ich nach einer Toilette, in der naiven Hoffnung, mich vor der Abfahrt nochmal frisch machen zu können. Der eine Mann sah mich seltsam an, als ich meinen Trekking Rucksack schulterte und hinter im herstapfte. Der Gang zur Toilette war so schmal, dass der Rucksack, welcher zu meinem neuen BFF geworden war, kaum durchpasste. Ich stoß die wackelige Tür zur Toilette auf und sank innerlich zusammen als ich vor einem Loch im Boden und einem tropfenden Loch in der Wand stand, vergeblich nach dem Lichtschalter suchend. Meine Hoffnung auf die letzte Erfrischung schwand dahin, aber dank Oberschenkelmuskulatur und Treffsicherheit ging alles gut und ich war dankbar für das letzte Taschentuch in meinem Hosensäckel. Im Büro zurückgekommen hatte der Kollege in der Zwischenzeit Kaffe getrunken. Nun rülpste und hustete er Schleim hervor, in der obersten Leistungsklasse. Mir wurde fast übel und ich jubilierte, als er endlich sagte „Girl, are you ready? We can go now.“. Ich schulterte meinen BFF erneut und schnappte meinen Koffer. Und als ich dem Kollegen durch den matschigen Boden Richtung Bus folgte, wurde mir eines klar: ich wollte nach Indien reisen. Dann musste ich auch wirklich Indien bereisen und nicht wie ein Drückeberger im sicheren (Flug)Hafen darüber sinnieren, wie aufregend das Leben ist…

To be continued…